Bedrohung für die Schweiz

DVD-Kritik: Heimatland
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Impuls Film

Erst ist nur aus den Medien von der Gefahr zu vernehmen. Eine Wolke schwebe über der Schweiz. Ein Sturm, so gewaltig, wie ihn die Schweiz bisher noch nicht gesehen habe. Die Versicherungsbranche versucht schnellstmöglich sich zu schützen, weil katastrophale Kosten zu erwarten seien. Dann ist sie da. Eine Wolke, die den Sturm ankündigt, langsam bis an die Grenzen der Schweiz vorstösst und dann - hängen bleibt. Der Sturm betrifft nur das Staatsgebiet der Schweiz. Also beginnen die Menschen zu fliehen. Die Ausreise ist allerdings nur Ausländern erlaubt. Der Eidgenosse muss im Land, auf seiner kleinen Insel, bleiben. So baut sich «Heimatland» auf.

 

Während der Sturm eher imaginär aufzieht und nur in wenigen Momenten ersichtlich ist, zeigt der Film, wie unterschiedlich die Menschen reagieren. Manche driften in Panik ab, andere werden hypersensibel. Wieder andere versuchen Schuldige zu finden und schnell erklingt die Frage: «Was macht denn Bern eigentlich?» Ein Mann, der in einem Lebensmittelladen die Leitung hat, tritt einem Mann, der nach einer Flasche Wasser bittet, gnadenlos brutal ins Gesicht. Plünderungen. Hamsterkäufe. Reaktionen wie Angst, Frust, Paranoia. Schuldzuweisung. Trotz. Zweifel an der Regierung. Selbstjustiz. Es scheint, dass die Wolke, der Sturm, die wahre Natur der Menschen hervorbringt. Und die sieht nicht nur gut aus. 

 

«Du Hure Babylons» 

 

«Heimatland» verbirgt von Anfang an nicht, was die Macher erreichen wollen. Die Prämisse ist so aufgebaut, dass jeder, der in den letzten paar Monaten eine Zeitung aufgeschlagen, eine Website besucht oder den Fernseher eingeschaltet hat, die Verweise versteht. Es geht um die Flüchtlingsthematik und die angebliche Bedrohung von Schweizer Werten sowie um die damit verbundene Rhetorik im In- und Ausland. Die Bedrohung in Form einer Wolke ist leicht als Synonym für die Menschen, die nach Europa fliehen, zu verstehen. Die Idee des Films ist eigentlich legitim, sogar spannend, verliert sich aber leider etwas. Die Gefahr wird im Film medial deutlich als «auf 24 Stunden begrenzt» erklärt. Daher ist es schwierig nachzuvollziehen, dass die Menschen in der Schweiz, mit stabil gebauten Häusern und genügend Luftschutzanlagen, komplett durchdrehen, weil ein Sturm kommt. Damit sollen in keinster Weise Naturkatastrophen verharmlos werden und natürlich darf ein Film etwas überspitzt darstellen - soll er sogar. Doch was soll Bundsbern gegen eine Extrem-Wetterlage tun? Egal, hauptsache gepoltert. In «Heimatland» wirkt die Bedrohung aber etwas schwach. Das schmälert die Wucht der Aussage leider etwas. Der Film ist zudem voller Klischees, wie etwa der Mann, der mitten in den Pendlern von der Schweiz als «du Hure Babylons» spricht oder der Stammtischfraktion, die sofort Panik schürt. Vielleicht ist diese leicht sarkastische Überspitzung aber durchaus sehr gewollt. 

 

Trotzdem erreicht der von zehn Regisseurinnen und Regisseuren gemeinschaftlich inszenierte und geschriebene Film sein Ziel. Man beginnt über das Gesehene nachzudenken, fragt sich, ob es wirklich - und hier hilft dann paradoxerweise das Understatement der Wolke - so wenig braucht, um für Chaos zu sorgen. Man ist emotional zwar beim Film, der mit viel Wert auf kunstvolle Bilder überzeugen kann, aber nie nahe bei den Figuren. Es sind zu viele, die kurz ins Scheinwerferlicht dürfen. Sie sind zu willkürlich gewählt, zu wenig interessant gezeichnet. Hintergründe werden nur angedeutet und hier wäre weniger klar mehr gewesen. So erhärtet sich der Eindruck, dass die Macher zwar wussten, wohin sie wollen, aber sich auf dem Weg etwas verzettelt haben. Oder zehn Menschen, die Regie führen, könnten einem Film nicht nur gut tun. In dieses, Fall wirkt das Werk wie ein Flickenteppich.

 

Trotzdem ist «Heimatland» zweifellos ein mutiger Film, der durchaus Stärken hat, und sich traut, ein unbequemes Thema anzugehen. Davon darf die Schweizer Filmszene gerne mehr produzieren. Der Film ist bildgewaltig, besitzt eine wunderbare visuelle Sprache und das Finale haut derbe rein und sollte zu denken geben. «Heimatland» zeigt, was das junge Schweizer Kino leisten kann. Auch, wenn bei der Aussarbeitung der Figuren etwas mehr Kreativität gut getan hätte, könnte «Heimatland» durchaus seinen Platz im sowohl film- als auch gesamthistorischen Kontext finden. 

 

«Heimatland» ist ein schönes Stück Schweizer Kino, das versucht, sich einem Thema mit der klassischen «Spiegel-vorhalte-Technik» zu nähern und umzukehren und sich so lobenswerterweise unmittelbar mit dem Leben um uns herum beschäftigt.

 

  • Heimatland (Schweiz 2015)
  • Regie & Drehbuch: Lisa Blatter, Gregor Frei, Jan Gassmann, Benny Jaberg, Carmen Jaquier, Michael Krummenacher, Jonas Meier, Tobias Nölle, Lionel Rupp, Mike Scheiwiller 
  • Darsteller: Peter Jecklin, Dashmir Ristemi, Julia Glaus, Michèle Schaub Jackson, Florin Schmidig, Egon Betschart, Gabriel Noah Maurer
  • Laufzeit: ca. 99 Minuten
  • Verkaufstart: 21. April 2016

 

 

 

 

Patrick Holenstein / Di, 26. Apr 2016